Konrad Adenauer
Staatsmann mit vielen Talenten (1876-1967)
Als Konrad Adenauer am 5. Januar 1876 in Köln zur Welt kam, da war das Bismarckreich gerade einmal fünf Jahre alt. Der Vater war gelernter Bäcker und Justizbeamter, die Mutter streng fromm. Die Familie wohnte unter einfachen finanziellen Verhältnissen in der Balduinstraße nahe dem Rudolfplatz. Jeden Sonntag ging es vormittags in die Messe und nachmittags zur Andacht in die Aposteln-Kirche.
Im Garten hinter dem Haus versuchte der kleine Konrad, Stiefmütterchen und Geranien zu kreuzen. Zwar wurde er später als Politiker weltberühmt, doch Adenauer war als Jugendlicher und junger Erwachsener auch ein vielseitiger Erfinder. So konstruierte er eine Blendschutzbrille für Autofahrer, einen Brausekopf für Gießkannen, ein leuchtendes Stopfei und ein „Verfahren zur Herstellung eines dem rheinischen Roggenschwarzbrot ähnelnden Schrotbrotes” (Kölner Brot). Letzteres ließ er sich sogar patentieren. „Keine Experimente“, dieser Wahlspruch kam erst später.
Vor der St. Aposteln-Kirche am Kölner Neumarkt ist die Statue von Konrad Adenauer zu sehen. Adenauer zählt zu den berühmtesten Persönlichkeiten, die die Stadt je hervorgebracht hat. Politisch für Köln aktiv war er in der Zentrumspartei und sorgte im Ersten Weltkrieg für die Lagerung von nährreichen Graupen, weshalb er den Spitznamen „Graupenauer“ bekam.
Als der studierte Jurist 1917, in dem Geburtsjahr Heinrich Bölls, Kölner Bürgermeister wurde, war er das jüngste Stadtoberhaupt einer deutschen Großstadt. Bis 1933 tat er einiges für Köln. Er eröffnete 1919 die Universität neu, ließ den Grüngürtel mit Sportplätzen anlegen und weihte 1924 die Kölner Messe ein. Da die Stadtkasse alles andere als prall gefüllt war, bemühte er sich um ausländische Unternehmen. Er überzeugte die Manager von Ford, den Standort Berlin zu vernachlässigen und stattdessen in Köln ein neues Werk zu bauen.
Legendär war sein Deal mit den Kommunisten beim Bau der damals technisch einmaligen Mülheimer Brücke, einer Hängebrücke, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Ohne die Stimmen des politischen Gegners hätte er das teure Prestigeprojekt nicht durchbringen können. Und so umwarb er die KPD-Abgeordneten erfolgreich hinter verschlossenen Türen, indem er die Leningrader Brücke lobte und versprach, bestimmte kölnische Baufirmen am Projekt zu beteiligen. Dies ging später als Klüngel par excellence in die Annalen ein.
1933 unterlag Adenauers Zentrumspartei in Köln der NSDAP, die ihn des Amtes enthob. „Adenauer, an die Mauer!“, hatten sie auf Plakaten gefordert und ihm Dienstvergehen vorgeworfen. Er fand bei einem ehemaligen Schulfreund, dem Abt von Maria Laach, Unterschlupf. In den Jahren der Diktatur wechselte er häufig seinen Aufenthaltsort und versteckte sich zeitweise. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er vorübergehend sogar der Mittäterschaft verdächtigt und verhaftet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Adenauer noch einmal für wenige Monate Kölner Oberbürgermeister, arbeitete aber bald schon an seiner politischen Karriere als westdeutsches Staatsoberhaupt.
Vom Kölner Rathauschef zum Bonner Regierungschef
Als Oberbürgermeister von Köln war Adenauer 1917 auffällig jung gewesen, Bundeskanzler wurde er dagegen erst mit 73 Jahren.
Der Bundestag wählte ihn am 15. September 1949 mit einer einzigen Stimme Mehrheit. Er hatte enormes Glück, denn ein Abgeordneter der Opposition stimmte heimlich für ihn. Die folgenden drei Bundestagswahlen fielen dann aber deutlicher für ihn aus. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, des wirtschaftlichen Aufschwungs. Beachtlich war, dass Adenauer neben der Kanzlerschaft Anfang der 1950er Jahre gleichzeitig auch Außenminister war.
Die Außenpolitik war ihm ungleich wichtiger als die Innenpolitik. Von ihr, sagte er, hinge alles ab, von der Wiedervereinigung Deutschlands bis zur Europäischen Union. In seiner Bonner Regierungszeit bis 1963 erreichte er die Integration in den Westen, förderte die behutsame Annäherung an Israel und an den einstigen Erzfeind Frankreich. Adenauers gute Beziehungen zu Charles de Gaulle mündeten in den Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag, wofür er 1954 den Karlspreis erhielt. Sein Verhältnis zu den Ländern Osteuropas und der Sowjetunion war wesentlich kühler. Immerhin erreichte die Bonner Regierung die Freilassung der letzten in sowjetischer Gefangenschaft lebenden Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Innenpolitisch waren die Gräben zwischen Adenauers CDU und der Sozialdemokratie tief. Er warf dem politischen Gegner einen ideologischen Schulterschluss mit den Kommunisten vor und ließ im Wahlkampf Plakate kleben: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau – darum CDU“, „Freiheit oder Sozialismus“ und „Für Dich Bauer – Adenauer“. In seine Amtszeit fiel das Berufsverbot für Kommunisten, die als Beamte, also auch als Lehrer, nicht mehr arbeiten durften. Viele wurden arbeitslos, die KPD verboten. Dafür engagierte er Hans Globke, der im Dritten Reich für die Nazis aktiv war, als Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Auch blieben einige Gesetze aus der NS-Zeit erhalten, so der Paragraph 175 (Verbot der Homosexualität). Die „Spiegel-Affäre“ fiel ebenfalls in seine Zeit, bei der sein Außenminister Franz-Joseph Strauss nach Falschaussagen vor dem Parlament zurücktrat und auch Adenauer selbst keine gute Figur machte, weil er behauptete, der Chefredakteur des Hamburger Magazins würde „systematisch den Staat verraten, um Geld zu verdienen“.
Adenauer war 14 Jahre im Amt und ist damit nach Helmut Kohl am längsten Kanzler gewesen. Er starb am 19. April 1967 in seinem Haus in Rhöndorf bei Bonn. Sein Sarg wurde zunächst im Kölner Dom aufgebahrt und später auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf beigesetzt. Nach ihm ist der Köln-Bonner Flughafen benannt, und eine Statue des Politikers steht am Kölner Neumarkt an der St. Aposteln-Kirche. Im November 2003 wählte ihn das ZDF-Publikum in der Sendereihe „Unsere Besten“ zum größten Deutschen, dicht gefolgt von Martin Luther und Karl Marx.
Tobias Büscher