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Mülheim, Stadteil Köln

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Mülheim: Ein selbstbewusster Stadtteil

In Mülheim erkennt man heute noch die Spuren der Eigenständigkeit

von Markus Schnitzler

Die Schifffahrt verhalf dem rechtsrheinischen Gebiet zum Stadtrecht und die Industrialisierung sorgte für kulturelle Vielfalt. Christliche Traditionen und moderne Unterhaltungskultur sind die anderen Facetten, die das Mülheimer Leben prägen.

Wenn man von der Kölner Innenstadt mit der Linie 18 nach Mülheim fährt, ist der erste Halt am Wiener Platz. Dieser Verkehrsknotenpunkt ist der zentrale Platz des 7,1 km² großen Stadtteils, aber bei den meisten der rund 40.000 Einwohner nicht besonders beliebt. Seit der Umgestaltung zu einer Fußgängerzone Ende der 1990er Jahre betrachten sie den nicht besonders attraktiven Platz als Schandfleck.

Die Menschen flanieren lieber auf der Frankfurter Straße, die Mülheims zentrale Einkaufsmeile bildet. Mitglieder der türkischen Bevölkerung sieht man hier allerdings seltener, weil sich diese im Stadtteil zahlreich vertretene Gruppe an einem anderen Ort selbst versorgen kann. Die Keupstraße wird scherzhaft oft als „Klein-Istanbul“ bezeichnet, weil sich hier zahlreiche Geschäfte, gastronomische Einrichtungen und Dienstleistungsbetriebe aneinander reihen, die fast ausschließlich von türkischen Inhabern betrieben werden. Obwohl die ehemalige Wolfsstraße jahrelang wegen Drogenhandels berüchtigt war und sich ein negatives Image erwarb, das 2004 durch ein bundesweit beachtetes Attentat mit einer Nagelbombe erneuert wurde, funktioniert das soziale Leben heute weitgehend reibungslos.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich Gastarbeiter der benachbarten Industriebetriebe in der Keupstraße, deren Namensgeber 1857 das Dreikönigen-Hospital stiftete, billigen Wohnraum gesichert und sich allmählich alles eingerichtet, was sie zum Leben brauchten.

Ein christlich geprägter Stadtteil

Ein Nebenfluss des Rheins gab dem Ort auf der „schäl Sick“ seinen Namen, denn im 11. Jahrhundert standen am Ufer des Strunderbachs zahlreiche Mühlen. Im Jahre 1098 wurde „Mulenheym“ erstmals schriftlich erwähnt. Knapp drei Jahrhunderte später wurde dem Gebiet das Stadtrecht verliehen.

Der Aufstieg Mülheims ist eng mit dem Rhein verbunden. Als autonome Stadt neben der Rheinmetropole profitierten die Menschen bis zur Neuzeit davon, dass die fahrenden Schiffshändler mit einem Halt in Mülheim das in Köln geltende Stapelrecht umgehen konnten. Da blieb es nicht aus, dass sich die beiden Städte regelrecht in einen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf schipperten.

Die Rivalität zwischen der Domstadt und dem rechtsrheinischen Gebiet, das laut einer Beschreibung von 1729 „in einer schönen, lustigen Ebene am Rhein vor der Reichsstadt Cöllen“ lag, zog sich bis ins 20. Jahrhundert.

Geprägt wurde Mülheim aber auch durch christliche Traditionen. Der Stadtteil bietet nicht nur den evangelischen Christen, deren größte Sakralbauten die Lutherkirche und die Friedenskirche sind, und den Heiden eine Heimat, sondern pflegt auch die katholischen Bräuche. Die größte Kirche St. Clemens ist alljährlich der Ausgangspunkt für die Mülheimer Gottestracht. An Fronleichnam fahren Schiffe in einer Prozession über den Rhein und die Menschen feiern Gottesdienste und Kirmes. Unter dem Schutz des Heiligen Nepomuk passieren die Schiffe einige Brücken, unter anderem die wohl bekannteste: die Mülheimer Brücke.

Vom Industriegebiet zur TV- und Feierszene

Die Schanzenstraße war einst das industrielle Zentrum Mülheims. Hier arbeiteten die Menschen beim Kabelhersteller Felten & Guillaume, dem wohl bekanntesten Namen aus der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Im größten Gebäude der Schanzenstraße sind heute TV-Studios untergebracht, in denen unter anderem Stefan Raab seine tägliche Sendung „TV total“ und die Samstagabend-Show „Schlag den Raab“ produziert. Bei Außenaufnahmen ermöglichen die Fernsehkameras einen Blick auf das Fabrikgelände, auf dem einst hart gearbeitet wurde.

Einen ähnlichen Wandel erlebte auch das E-Werk. Wo einst Strom produzierte wurde, fließt die Elektrizität heute direkt in die Lautsprecher. Angeregt von der kölschen Rockband BAP entdeckten einige Vertreter aus der Musikszene 1991 die Möglichkeit, die ehemaligen Industriehallen zur Unterhaltung zu nutzen. Seitdem ist das E-Werk eine beliebte „Location“ für Konzerte. Die Idee kam beim Publikum so gut an, dass sechs Jahre später eine weitere Halle entsprechend eingerichtet wurde. Jetzt können die Menschen auch im Palladium tanzen.

Zusätzliche Bekanntheit erlangte das E-Werk durch die jährlich stattfindende Stunksitzung. Die von Studierenden der Kölner Universität und dem Kabarettisten Jürgen Becker ins Leben gerufene Veranstaltung zelebriert den alternativen Karneval, der sich durch Persiflagen vom offiziellen „Fastelovend“ distanziert.

Abgrenzung zu Köln – auch als Stadtteil

Dass die Stunksitzung ausgerechnet in Mülheim stattfindet, ist wohl kein Zufall. Schließlich betrachtete sich der nördlich von Deutz gelegene Stadtteil schon immer als etwas Besonderes. Schon im Mittelalter ärgerten sich die Kölner über diese Sonderstellung. Nachdem Mülheim die Stadtrechte und die Freiheit zugesprochen worden waren, versuchten sie drei Jahrhunderte lang immer wieder, die Mauern niederzureißen – ohne Erfolg. Die Konkurrenz wurde sogar noch stärker, als die strategisch planenden Mülheimer einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführten.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts durfte man einen eigenen Markt veranstalten und lockte die Händler mit besonderen Freiheiten. Selbst die zweite schwere Naturkatastrophe konnte den Ehrgeiz der Mülheimer nicht brechen. Im Februar 1784 trat der Rhein weit über die Ufer und zerstörte fast alles in Mülheim, aber die Einwohner erholten sich relativ schnell. 1815 übernahmen die Preußen die Herrschaft in der Rheinprovinz und erklärten Mülheim am Rhein zur Hauptstadt des gleichnamigen Kreises, der sich bis Bergisch Gladbach und Overath erstreckte. Zahlreiche Industriebetriebe siedelten sich in Mülheim an und sorgten gemeinsam mit der Eisenbahn für eine wirtschaftliche Blütezeit.

Die Stadt wurde zunehmend unabhängig von Köln, doch die Politiker der linksrheinischen Metropole wollten genau das Gegenteil erreichen. Rund um den Dom war kaum noch Platz für die ständig steigende Zahl der Einwohner, so dass der Stadtrat eine Expansion am anderen Ufer anstrebte. In Deutz und Merheim hatten die Politiker leichtes Spiel, doch an Mülheim bissen sie sich die Zähne aus, obwohl sie den Druck deutlich erhöhten. Der Widerstand wurde erst 1913 durch Vermittlung des Regierungspräsidenten gebrochen, als man sich einstimmig auf einen Eingemeindungsvertrag einigte. Trotzdem musste Köln einen hohen Preis bezahlen, denn Mülheim handelte mehrere Bedingungen aus, mit denen es einen Teil seiner Selbstständigkeit behielt, und eine rund 4000 Mann starke Widerstandsgruppe ließ nicht locker. Die Mülheimer Bürger erzwangen eine weitere Abstimmung im Berliner Reichstag. Erst am 10. Juni 1914, kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrieg,s war Mülheim das, was es bis heute ist – ein Kölner Stadtteil, der eine kulturelle Vielfalt bietet und sich selbstbewusst präsentiert.

 

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